Dr. Snow

 

Dr. Snow

Der durchschnittlich begabte Arzt Wolfram fuhr endlich auf Urlaub, das erste Mal als Doktor und nicht mehr als Student. Seine verkrümmte Seele hatte sich bereits in den letzten Monaten etwas gestreckt und versuchsweise geradegebogen, und träumte nun davon, inmitten der teuren Schneeflocken endgültig eine - dem neuen Prestige entsprechende, gelöstere Haltung einnehmen zu können. Die Abdrücke all der Studienjahre verschwanden nicht so rasch. Im Nachhinein betrachtet, war natürlich alles ganz gut gelaufen. Wolfram hatte die meisten Prüfungen zumindest im zweiten Anlauf bestanden, und bei den praktischen Übungen in der Pathologie mußte er sich ab der dritten Woche kaum noch übergeben.

Das Studium hatte er sich als Tramwayfahrer selbst finanziert und das machte ihn sehr stolz. Obwohl es ihm lieber gewesen wäre, hätten ihn seine Eltern regelmäßig mit Schecks und Scheinen versorgt, so war es ihm doch gelungen einen gewissen Stolz zu entwickeln, der ihm darüber hinweghalf, daß die angenehmen Dinge des Lebens - modische Kleidung, auswärts Essen, abendliches Fortgehen - außerhalb seiner finanziellen Reichweite lagen. Abend für Abend dirigierte Wolfram Straßenbahnen quer durch Wien, bis kurz nach Mitternacht. Wenn er mit einem Fahrgast ins Gespräch kam, erzählte er sofort von seinem Medizinstudium: das war seine Visitenkarte, um tüchtig zu erscheinen und angenommen zu werden, darüber sprach er gerne. Viel lag ihm daran, seine glänzenden Zukunftsaussichten publik zu machen, niemand sollte denken, daß sich sein Horizont auf das Drehen der Kurbel und das Ausrufen der Stationen beschränke. Unter den anderen Fahrern konnte Wolfram keine Freude finden, er wurde sogar noch von ihnen verspottet wenn er sich an dem rüden Umgangston stieß.....

Jede weitere Demütigung mußte abgewendet werden. Sonst hätte sich sein jahrelanger Einsatz ja nicht gelohnt. Seine Seele wurde von den dünnen Zuckerfäden der Selbstgerechtigkeit im Gleichgewicht gehalten, das bedurfte eines stärkeren Schutzes als der Doktortitel geben konnte. Doch das wußte Wolfram nicht. Schritt für Schritt sammelte er seine Erfahrungen:

Als Juniorteilhaber einer Gemeinschaftspraxis stand er am Anfang einer Laufbahn, die ihm sehr vielversprechend erschien.. Wolfram teilte die großzügig angelegte Praxis im ersten Stock eines noch nicht revitalisierten Altbaues mit drei Kollegen: einem naturheilkundlich orientiertem Kollegen, der Physiotherapeutin Margit, deren schwarze Spitzenunterwäsche stets durch den milchfarbenen, steifgebügelten Arbeitskittel durchschien, und dem bierbäuchigen Orthopäden Franz. Wolfram träumte von dem Tag träumte, an dem er die weiß gestrichenen Ordinationsräume ganz für sich alleine haben würde, angefüllt mit Privatpatienten natürlich. Er gestattete sich diesen Tagtraum nur selten, bestand doch der beste Teil daran aus all den jungen, schlanken Ordinationshilfen in zu weiten, durchscheinenden, Arbeitskitteln, deren sinnlich warme Ausstrahlung das Wartezimmer in einen Harem verwandelte, nachdem der letzte Kranke versorgt worden war.....Für den Moment war er jedoch objektiv genug, die finanziellen Vorzüge des derzeitigen Arrangements zu erkennen.

"Der praktische Arzt nimmt bei uns eine überaus wichtige Schlüsselposition ein" erklärte ihm Franz beim gemeinsamen Mittagessen in einem nahen Wirtshaus, "Er fungiert als Verteiler der Kranken, deshalb ist Teamfähigkeit besonders wichtig. Versuchen Sie also nie, Ihrer Patienten auf eigene Faust gesund zu machen. Nehmen Sie sich Zeit und bedenken Sie bei jeder Konsultation: einer Ihrer Kollegen kann sicher einen nützlichen Beitrag leisten oder die Behandlung zeitweise übernehmen. Einer darf sich getrost auf den anderen verlassen – soll heißen, daß Sie Ihre Patienten auch wieder retour bekommen, um sie dann gegebenenfalls an die Margit, unsere Physiotherapeutin überweisen. Ist sehr tüchtig, das Mädel und empfiehlt regelmäßig eine abschießende Kontrolle beim praktischen Arzt, nicht wahr? Ihr Vorgänger Doktor S. hat das Schlagwort "Rundläufer" für unseren Betrieb geprägt, nicht wahr, das ist so unser Ziel. Bestmögliche Versorgung, wir lassen sozusagen nichts unversucht."

Und obwohl Franz redete und redete, schaufelte er ganz nebenbei eine Riesenportion Kalbsgulasch mit Nockerln in sich hinein. Wolfram beneidete den Orthopäden um das Gulasch, denn jener konnte a la carte essen, während er, Wolfram , der es doch zu mindestens ebenso hohen akademischen Graden gebracht hatte, sich vorläufig nur das Menü leisten konnte. Die groben Fasern des gekochten Rindfleischs blieben zwischen seinen Zähnen stecken, während die verkochten Petersilerdäpfel überall sonst in seinem Mund klebten. Als die Rechnung kam, sagte Franz: "Alles zusammen" und Wolfram bedauerte von ganzem Herzen, daß er sich kein Kalbsgulasch bestellt hatte. Bevor die beiden Männer das Lokal verließen, klopfte ihm der Orthopäde freundlich auf die Schulter und sagte: " Du gehörst bei uns automatisch zur "Interessengemeinschaft für ganzheitliche Behandlung", also laß Dir von Margit unbedingt die Liste mit den befreundeten Psychotherapeuten geben. Für jede Stunde, die einer unserer Patienten dort sein Herz ausschüttet, bekommen wir 15 %, nicht wahr?"

Diesen Punkt fand Wolfram moralisch bedenklich, aber da das Rindfleisch noch mahnend zwischen seinen Backenzähnen klemmte, gab er sich alle Mühe um den Erwartungen der Medizinergemeinschaft gerecht zu werden. An seinem ersten Arbeitstag brachte er einen nagelneuen Fußabstreifer für den Vorraum mit.

Wolfram war als letzter zu dem profitablen Äskulapverband gestoßen, da sein Vorgänger Doktor S. zwar ein charismatischer, hochbegabter Diagnostiker gewesen war, der jedoch seinen Anteil an Kreditrückzahlungen für die technische Ausstattung nie pünktlich überwiesen hatte, geschweige denn daß er sich an den Betriebskosten beteiligt hätte. Wolfram hingegen hatte sogar das Kunststück zustande gebracht, während seines Studiums einiges zurückzulegen und konnte sich in die Gemeinschaftspraxis einkaufen, ohne allzu viele Schulden machen zu müssen.

Das war nun der erste Urlaub seit langem. Schi fahren auf den Hängen Lechs am Arlberg. Nicht das Wolfram ein exzellenter Schifahrer gewesen wäre – wie fast alle Dinge in seinem Leben hatte er auch den Sport genau bis zu jenem Punkt erlernt, der ihn gerade noch von den Anfängern trennte. Unprofessionelles Verhalten war ihm ein Greuel, auf der Piste wie im OP. So buchte er auch schon von daheim aus einen Schikurs in der größten Schischule im Ort.

Sein schwer erkämpfter akademischer Titel lies sich leider der Schischule gegenüber nicht wie gehofft einsetzen: Wolfram mußte sich genau wie alle anderen einem Einstufungstest unterziehen, er, der Prüfungen jeglicher Art nach all den verstudierten Jahren schon so satt hatte! Nicht genug damit, daß er jedesmal feuchte Finger bekommen hatte, nein, auch die Socken waren öfters hinterher naß gewesen. Er pflegte die Dinge schwer zu nehmen – darin war er unschlagbar -, und Magenschmerzen gehörten ohnehin dazu.

Schließlich landete er nach einem kalt-grauen, unerfreulichen Vormittag auf der Piste im letzten Drittel der mittleren Leistungsgruppe - ohne allzuviel Aussicht, jemals zur Spitze vorstoßen zu können.

Das lag zum Großteil am Schilehrer, der augenscheinlich über sehr wenig Menschenkenntnis zu verfügen schien und alle seine Schützlinge per DU anredete, ohne auf die unter so vielen Mühen erworbenen akademischen Grade weiter einzugehen. Wolfram setzte sich höflich, aber bestimmt dagegen zur Wehr. Er kannte seine Rechte, und da er selber seine Mitmenschen stets respektierte oder wenigstens korrekt anredete, meinte er das auch für sich selber in Anspruch nehmen zu können. Erfolg sollte ihm damit nur bis zu einem gewissen Grad beschieden sein: " Du, Doktor, los Deinen Oarsch net so hängen!" rief ihm der braungebrannte Schilehrer ab da fröhlich zu und grinste breit, denn zu Touristen ist man freundlich.

Der Urlaub stellte für Wolfram den Anfang des selbständigen, selbst erarbeiteten Lebens im Wohlstand dar. Eine lange Tramwayfahrt der Entbehrung lag hinter ihm – und der dabei geernteten Lorbeer hatte ihm den Weg direkt hierher nach Lech geebnet. Nun, als ausgebildeter Mediziner konnte er sich sehen lassen unter den Menschen, die ihn bisher doch eher ablehnend behandelt hatte – so hatte er es immerhin aufgefaßt. Wie anders hätte er - Beispiel -

Doch nun hatte er eine Arztpraxis, eigene Patienten, eine Wohnung und fuhr auf Urlaub in ein feines Hotel – wenn auch mit sehr unklaren Erwartungen.

In Lech liefen die Dinge auch nicht nach Wunsch. Das teure Einzelzimmer empfand Wolfram als trostlos, und das gleich am ersten Abend. Möglicherweise war es gerade die Tatsache, daß es sich nur um ein Einzelzimmer handelte, zu einem Doppelbett hatte leider keine Veranlassung bestanden, oder die wolkenverhangenen Berge bohrten sich in sein ohnehin bereits vorgeschädigtes Gemüt. Als er lange genug mürrisch aus dem Fenster in den Schnee gestarrt hatte, fiel ihm auf, daß es durch die Ritzen des Holzrahmens eiskalt hereinzog. Er machte sich auf zur Hotelrezeption. Dazu mußte er durch den Gastraum, vorbei an den beleuchteten Flaschen, quer durch die Wärme des Alkohols und der Speisen, die in dem gut beheizten Raum aus den Menschen schon wieder herausdampften. Wolfram fühlte, wie seine Verärgerung in der feuchtwarmen Atmosphäre Ausläufer zu bilden begann, die durch das Hotel krochen um verschiedene Kleinigkeiten zu umschlingen. Details wie wurden nur allzu bereitwillige zum Dünger seines Mißvergnügens. An der Rezeption angelangt atmete Wolfram tief durch. Er brachte sein Anliegen vor und die kühle Luft des Eingangs verband sich mit dem scharfen Rasierwassers des jungen Portiers zu frisch gespülten Glaswand, an der die Beschwerde glatt herablief. Wolfram hatte noch nicht gelernt, anonyme Freundlichkeit von höflicher Ablehnung zu unterscheiden, und so würde auch bis zum Tag seiner Abreise war niemand kommen, um das Holzfenster abzudichten.

In der ersten Nacht träumte er von Margit und ihrer schwarzen Spitzenunterwäsche. Sie glitt lächelnd in sein Zimmer und begann, ihren Arbeitsmantel aufzuknöpfen. Das Mondlicht ließ ihre Spitzenunterwäsche geheimnisvoll leuchten. Und wie das in Träumen nun mal so ist: alles erschien völlig logisch und natürlich. Ansonsten pflegte Wolfram eher von Alpträumen heimgesucht zu werden. Das lag zum Teil auch daran, daß er keine Freunde hatte, da er seine ehemaligen Mitstudenten aus einem gesunden Ehrgeiz heraus als Konkurrenten begriffen hatte und damit just die gleiche Haltung einnahm, mit der er auf seinem Ausbildungsplätzen in verschiedenen Spitälern so zu kämpfen hatte. Seine Eltern waren noch während des ersten Studienabschnittes bei einem Autounfall verstorben, leider ohne ihm oder seinen beiden Schwestern eine nennenswerte Summe zu hinterlassen. Außerdem war Wolfram so um die dringend benötigte elterliche Anerkennung nach beendetem Studium umgefallen. "Meine Mama wäre stolz gewesen auf mich" dachte er viele, viele Male während der Sponsion als er endlich die Doktorwürde erhielt doch es half nicht, obwohl sogar seine Schwestern im Publikum saßen.

Für einen aufmerksamen Beobachter war es da natürlich schon vorauszusehen, daß Wolfram auch mit seinem Platz im Speisesaal nicht glücklich sein würde. Zu gehemmt, um in Gesellschaft anderer die Mahlzeiten genießen zu können, hatte er sich unter einem Einzeltisch doch etwas mehr als das wackelige Holzding hinter dem abgeschlagenen Pfeiler vorgestellt. Kaum jemand vom Personal machte sich die Mühe, hinter den Pfeiler zu blicken. Da Wolfram in seinem gesamten Leben bisher kaum jemals die Stimme erhoben hatte, mußte sich er sich zu seinem Verdruß nun Tag für Tag mittels weit ausholender Handbewegungen die Leberknödelsuppe herbeiwinken. Und obwohl er Vollpension bezahlt hatte, gab er manchmal schon vor der Nachspeise auf. Wie es nun einmal zu sein pflegt, kam eines zum anderen: die Warteschlangen beim Sessellift begannen überproportional rasch zu wachsen, sobald Wolfram sich einreihte, und an den neuen Schischuhen war schon bald eine Schnalle defekt. Doch Wolfram kämpfte sich durch seinen Urlaub, fest entschlossen, sich zu amüsieren, zu erholen und für den Respekt seiner Mitmenschen zu sorgen.

Zwei Tage vor seiner Abreise schlug das Wetter um. War es bisher trüb und eiskalt gewesen, so begann nun die Sonne herabzustrahlen. Unzähligen Schneemännern fielen die Nasen aus den Gesichtern, und Wolfram begann unter seiner Schibrille gräßlich zu schwitzen. Doch die Konsequenzen beschränkten sich nicht nur darauf. Kurz nach Mittag ging knapp neben der gesicherten Piste ein größeres Schneebrett ab, daß sich auf der Talfahrt zu einer mittelprächtigen Lawine entwickelte. Während die kalte Masse unter Getöse zu Tal donnerte, begrub sie auch einige – wenn auch wenige – Menschen unter sich. Wolfram konnte dieses Naturschauspiel aus der Nähe beobachten, denn er hockte gerade mit seinen Kurskumpanen auf einer Holzbank vor der Mittelstation und löffele eine Suppe. Er blieb ruhig sitzen während die anderen aufsprangen und zu schreien begannen.

Doch da kam der Schilehrer gestikulierend auf ihn zugerannt: " Doktor, schwing dich auf die Brettln und komm mit, wir müssen denen da drüben helfen, gemma!" Innerlich erbost über dieses Ansinnen blieb Wolfram nichts anderes übrig, da er sein Gesicht wahren wollte. "Was geht mich das eigentlich an?" dachte der Arzt, " bin ich doch weder ausgebildeter Bergretter noch ein Lawinenhund – wer sich in Gefahr begibt, wird darin umkommen." und sagte er noch leise: " Die Piste dort ist gesperrt"

"Wenn Dein Schilehrer sagt: fahr, dann fahrst, host mi, Doktor?" Da war also nichts zu machen. Wolfram spürte, wie sich seine Hinterbacken verkrampften, als er die Sicherheitsmarkierung des Hanges überfuhr und voll von Linsensuppe und innerem Widerstreben verkrampft auf den ungesicherten Teil der Piste rutschte. Ein Schi ragte weithin sichtbar aus dem Schnee, und schon nach wenigen Minuten war ein Verletzter geborgen, der zwar entsetzt nach Luft japste aber bei vollem Bewußtsein war. Wolfram überzeugte sich rasch davon, daß dem Mann eigentlich nichts fehlte. Ein gebrochener Unterschenkel, häßlich verdreht zwar und mit herausstehenden Knochenstücken, gut, das würde im nächsten Krankenhaus im Handumdrehen zusammengeflickt sein. Vor Ort war da nicht viel zu tun. Wolfram sah keinen Grund zum Eingreifen, doch er wußte, was von ihm erwartet wurde, also seufzte er innerlich und fühlte nach dem Puls des Verunglückten, während er so freundlich wie möglich mit ihm redete. Der etwa sechzigjährige rundlichen Mann war ziemlich verängstigt. Wolfram beruhigte ihn und zog sogar seinen eigenen Anorak aus, um ihn als Kopfstütze zu verwenden. Er begann zu frieren, in Gedanken schrieb er ihm eine Überweisung an den Orthopäden Franz. Wenigstens Schuheinlagen wären garantiert drinnen. Ja, und die Physiotherapeutin Margit hätte an so einem Neuzugang sicher auch ihre helle Freude. Der Verunglückte begann, über Schmerzen zu klagen und verlangte nach einem Schmerzmittel: "Sie sind doch Arzt, oder?" Wolfram wurde immer ärgerlicher. Dachte der Mann, daß einem Arzt gleichzeitig mit der Promotion zum Dr.med ein Erste-Hilfe-Kasten implantiert würde?Er überwachte weiter die Vitalfunktionen. Nach einer Viertelstunde kamen zwei Sanitäter mit ihren Alukoffern. Nachdem er sich mit innerlichem Bedauern als Arzt vorgestellt hatte, überließen sie ihm erwartungsgemäß die Arbeit des provisorischen Schienens und waren froh darüber. Barsch verlangte er Gummihandschuhe. Ein Studienkollege hatte sich einmal an einem herausstehenden Knochen gestochen. Während Wolfram dem gebrochenen Unterschenkel in einen aufblasbaren Stützverband verpaßte, nahmen die beiden Sanitäter die Personalien auf. Wolfram arbeitete ungeduldig und Blut tropfte dabei auf das Ärmelbündchen seines neuen Schianzugs, so wurde er immer mürrischer. Die Ungerechtigkeit erbitterte ihn zutiefst. Er hatte Urlaub, und hier handelte es sich nicht um einen Notfall. Der Verunglückte hätte noch zwei Stunden lang im Schnee liegen können ohne Schaden zu nehmen, verfügte er doch über eine ausgeprägte Fettschicht und einen modernen Thermoschioverall. Doch der Erwartungsdruck der Umgebung war zu hoch für Wolfram Sein Schilehrer stand noch immer neben ihm und hielt dem Handy einen stark tirolerisch gefärbten Vortrag über Pistensicherung. Endlich kam der Rettungshubschrauber und holte den Verletzten. Jetzt klopfte ihm auch noch der Schilehrer den er ohnehin nicht besonders mochte auf die Schulter:

- Gut gemacht Doktor, daß hätte ich Dir gar nicht zugetraut. Schaust halt noch so jung aus. Nix für unguat!"

"Also wieder nur ein halbes Lob" dachte Wolfram und wurde die grauen Gedanken den ganzen Tag über nicht mehr los. So ging er auch nicht zur Abschlußfeier der Schischule, sondern packte statt dessen sorgfältig seinen Koffer, um am anderen Tag schon früh morgens abreisen zu können.

Wieder in den Alltag hineingeglitten mußte Wolfram feststellen, daß nicht die Erholung sondern der Ärger über die erzwungene Hilfeleistung am längsten vorhielt. Nachdem er einige Tage hin und her überlegt hatte – genau so lange, bis er sich moralisch im Recht fühlte – setzte er sich hin, um dem Verletzten eine Rechnung zu schicken – und zwar eine gesalzene. Abgesehen von der medizinischen Erstversorgungen verlangte er eine finanzielle Abgeltung des verdorbenen Urlaubstages. Er war nicht gewillt, über tausend Schilling pro Tag zu bezahlen, um zersplitterte Knochen zu schienen. Nach einigem Nachdenken war es in Wolfram‘s Augen eine Selbstverständlichkeit, daß dieser unverhoffte, mißliebige Patient für die Kosten aufkam. Einmal zu diesem Schluß gekommen, erstellte er rasch eine passende Honorarnote, wobei er nicht vergaß, auch die Putzereikosten für seine Skianzug ordnungsgemäß auszuweisen.

So war Wolfram auch über alle Maßen erstaunt, als er kein Geld erhielt, sondern eines Morgens einen Zeitungsausschnitt auf seinem Schreibtisch vorfand – und da fiel ihm ein, daß Margit ihn heute morgen nicht einmal gegrüßt hatte, als sie mit einer Schere in der Hand an ihm vorbeigegangen war. Für einen Sekundenbruchteil hatte er in Gedanken damit die Knöpfe von ihrem Arbeitsmantel abgeschnitten, um dann die Träger des freigelegten Büstenhalters zu kappen – doch wie gesagt, die Anwandlung dauerte nur Sekunden, er schämt sich auch sogleich dafür und griff nach dem Zeitungsausschnitt um sich abzulenken. Das funktionierte recht gut, denn er sah sich mit folgender Kurzmeldung konfrontiert:

"Arzt klagt Lawinenopfer" so lautete der wenig schmeichelhafte Titel, und in diesem Ton ging es weiter: "Lech am Arlberg: Ein Arzt fühlte sich durch den Lawinenabgang im vorigen Monat und die damit verbundenen Hilfeleistungen um den Erholungswert eines ganzen Urlaubstages betrogen und verlangt Schadenersatz vom Lawinenopfer. Die Forderung beläuft sich auf etwa 15.000 öS." In Lech hatte ein findiger Reporter das Foto von Wolfram‘s Liftkarte aufgetrieben, und so fand sich dieser – nicht unverhofft aber doch deplaziert - in der Zeitung wieder, allerdings hätte er sich für seinen medialen Erstantritt doch ein ansprechenderes Thema gewünscht, so spekulierte er insgeheim schon längere Zeit mit einem brillianten Fachkommentar der Margit endlich von seinen Qualitäten überzeugen würde. Wolfram war verärgert, las aber weiter, bis er zum Schluß noch ernstlich böse wurde: "Wiener Arzt schickt Rechnung an Lawinenopfer – Lawinenopfer schickt Krankenschein retour"

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